2013 Synagoge Emden


"Die brennende Synagoge"
Gedenkveranstaltung am 9.11.2013 im Forum der VHS Emden
„75 Jahre Pogromnacht 9./10.November 1938“

Vortrag von Schülerinnen und Schülern des Beruflichen Gymnasiums der BBS II Emden - Jahrgang 13 / Werte und Normen: Ode Bokker, Ketsarin Premprasert, Adrian Bieneck, Mathias Boomgaarden, Antje Zents, Rita Stumpf, Weronika Palkowska.



















Synagoge, Foto: Stadtarchiv Emden


Das Thema dieser Gedenkveranstaltung ist „Die brennende Synagoge“. Im Gegensatz zu den Veranstaltungen der letzten Jahre, welche besonders das unfassbare Schicksal der Emder Juden beleuchtet haben, soll heute die Geschichte eines Gotteshauses in seiner 102jährigen Geschichte in zwei Teilen thematisiert werden. Sie sehen hier das freundlicherweise vom Ostfriesischen Landesmuseum zur Verfügung gestellt Modell der Synagoge. Für diesen Abend ist dadurch die Emder Synagoge hier präsent. Im ersten Teil werden wir eingehen auf den Bau der Synagoge und die Zeit bis 1933. Im zweiten Teil wird die Zerstörung im November 1938 näher dargestellt. 

A. Der Bau der Synagoge

Jüdische Gottesdienste werden in Emden anfänglich wohl in Privathäusern stattgefunden haben. Eine Beschwerde des Kirchenrates aus dem Jahr 1593 läßt vermuten, dass es eine kleine Synagoge zwischen Judenstraße und Am Sandpfad gegeben haben muss. Der Magistrat hat daraufhin den Juden verboten, ihre Gottesdienste öffentlich abzuhalten. Erst für das Jahr 1701 ist mit Sicherheit eine Synagoge Am Sandpfad 5 (heute Bollwerkstraße) nachgewiesen. 




Thoraaufsatz, Foto: Stadtarchiv Emden


Emden verfügte am Anfang des 19. Jahrhunderts über rund 10.000 Einwohner, eine im Reich durch Handel und Schifffahrt bekannte Stadt. Von dem wirtschaftlichen Aufschwung konnte auch die israelitische Gemeinde profitieren. So besaß die Gemeinde eine Reihe von wertvollen religiösen Kultgegenständen, so 16 Paar Thorarollenaufsätze, sechs Thoraschilder und sechs Thorazeiger. All diese Objekte wurden in Emden bei eingesessenen Goldschmieden gearbeitet. In diese Epoche fällt wohl auch der Plan, die alte Synagoge durch einen Neubau zu ersetzen. 
Abraham Heymann Löwenstamm wurde 1810 zum Oberrabbiner in Emden berufen, 1827 wurde Emden Sitz des Landesrabbinats. Als Landesrabbiner musste Löwenstamm mindestens einmal pro Jahr die ihm unterstellten jüdischen Gemeinden im Bereich der Provinz Ostfriesland und benachbart besuchen.




Lageplan 1909, Stadtarchiv Emden


Differenzen in der Gemeinde und finanzielle Probleme verhinderten einen Abriss der Synagoge, weswegen das in die Jahre gekommene Gebäude 1830 durch Stützen von außen abgesichert werden musste. Das vier Jahre später durch einen Sturm baufällig gewordene Gebäude musste wegen Einsturzgefahr geschlossen werden. Löwenstamm erwarb sich große Verdienste, denn er sammelte Spenden nicht nur in der Region, sondern fuhr zu diesem Zweck auch in die Niederlande und nach England. Im Jahr 1835 konnte in Gegenwart des Magistrats, der den Neubau kräftig unterstützte, der Grundstein für den Neubau gelegt werden. Die im Stil der Gründerzeit gebaute dreischiffige Synagoge war 200 Meter lang, 12 Meter breit, an den Seitenwänden 8 Meter hoch und besaß eine Gesamthöhe von 15 Metern.




Thoraschrein, Foto: Stadtarchiv Emden


Das Gotteshaus bot 135 Gemeindemitgliedern Platz. Der Neubau konnte am  19. August 1836 durch Landesrabbiner Löwenstamm unter großer Beteiligung des Magistrats und der christlichen Kirchen eingeweiht werden. In einem feierlichen Zug, dem ein Musikcorps vorausging, wurden die Thorarollen zur neuen Synagoge getragen. Die Thorarollen, welche die fünf Bücher Mose enthalten, werden in allen Synagogen in einem mit einem Vorhang verhüllten Schrein an der Ostwand des Gebäudes aufbewahrt. Für die Nutzung der Synagoge ist interessant zu wissen, dass für einen Gottesdienst mindestens zehn religionsmündige Männer anwesend sein müssen. Die Anwesenheit eines Rabbiners ist nicht unbedingt nötig. Ein Rabbiner ist Gesetzes- und Religionslehrer, Prediger und Seelsorger. Darin unterscheidet er sich in seiner Funktion von Priestern und Pfarrern christlicher Konfessionen, die als herausgehobene Amtspersonen kultische Handlungen vornehmen, die nur sie durchführen dürfen, wie Taufen usw.. 




Kanzel und Vorbeterpult, Foto: Stadtarchiv Emden


Vor dem Thoraschrein befand sich die Kanzel und das Vorbeterpult für den gesanglich ausgebildeten Kantor. Im Mittelschiff stand erhöht der Almenor, ein Tisch, auf dem für die Lesung die Thorarrolle ausgebreitet wurde. Der Vorleser durfte sie nicht berühren, sondern benutzte einen silbernen Thorazeiger. Mit einem speziellen Tuch umhüllt, einem Thoraschild und einem Aufsatz versehen, wurden die Rollen nach dem Gottesdienst in den Schrein gebracht. Rabbinner Löwenstein fand folgende Worte zur Einweihung: 
„Wie lieblich sind deine Wohnungen Ewiger! Des Weltalls Herr! Meine Seele verlangt, schmachtet nach des Ewigen Vorhof, wo Geist und Fleisch dem Gott des Lebens jauchzen. Heil den Bewohnern deines Tempels, sie preisen dich ohne Unterlass.“





Erweiterungsbau/Westansicht 1909, Stadtarchiv Emden


Die Außenfassade der Synagoge war im Rohbau ohne Anstrich, der Westgiebel im griechischen Stil gehalten Das Portal an der Westseite führte zunächst in eine kleine Vorhalle. Den Südgiebel schlossen links und rechts zwei kleine Türme ab. Die Mitte des Giebels zierte ein großes Rundfenster mit dem Stern Davids. Vor der Synagoge, von der Straße durch ein Eisengitter abgeschlossen, befand sich ein kleiner Blumengarten, in einem kleinen Haus daneben die Mikwe, ein Badehaus zur Säuberung von ritueller Unreinheit.




Innenraum, Foto: Stadtarchiv Emden


1909 wurde die Synagoge mit einem Kostenaufwand von 60.000 Mark erweitert. Die Malerfirma Warring & Peters erhielt nach einem Wettbewerb den Auftrag für den Innenanstrich. Die Decke wurde nach eigenen Entwürfen im byzantinischen Stil gestaltet. Nach dem Umbau gab es nun 570 Sitzplätze, eine Aufstockung um das Vierfache. Sitzungssaal, Mikwe,  Garderobe und Heizung konnten jetzt in einem Gebäude untergebracht werden. Im Zuge der Bauarbeiten wurde auch das Rabbinerhaus umgebaut und vergrößert. Wiederum unter großer Beteiligung von Magistrat und christlichen Kirchenvertretern wurde der Erweiterungsbau im Juni 1910 eingeweiht. Rabbiner Löb findet in seiner Predigt folgende Worte:

„Was ist dies Haus, was soll es Euren Kindern sein? Nichts anderes als die Pforte des Himmels! … Hier ward auch gebetet für unseren Landesherrn, hier drangen die Gebete auf gen Himmel, als für Deutschlands Ehre auf blutiger Wahlstatt gestritten wurde, und dieser Raum hörte die Dankgebete für die Siegesfeier. …Und solange diese Erde besteht, soll dies Haus ein Ort des Gebetes, eine Himmelpforte sein.“




Dr. Samuel Blum, Foto: Stadtarchiv Emden


Nationale Begeisterung, in diesem Falle in Erinnerung an den Sieg über Frankreich 1870/71, war nicht nur in christlichen Kreisen eine Grundeinstellung. 
1936 feierte die jüdische Gemeinde den 100. Geburtstag der Synagoge. Waren bei der Einweihung des Erweiterungsbaus noch Oberbürgermeister Fürbringer und der Magistrat erschienen, konnte dieser Erinnerungstag nur intern begangen werden.
In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstörten Nationalsozialisten das Gotteshaus. Am Morgen danach raubten sie den „gesamten Silberschatz“ (womit die Kultgeräte gemeint waren) und die Thorarollen. Nur dem Umstand, dass Rabbiner Blum ein Jahr vorher in einem Koffer zwei Thorarollen nach Palästina brachte, ist die Rettung dieser beiden zu verdanken.




Altenheim Claas-Tholen-Straße, Foto: Stadtarchiv Emden


Die Israelitische Gemeinde war außerdem im aktiv in der Unterstützung verwaister und armer Kinder, zu welchem Zweck sich 1866 ein Verein gründete mit dem Namen: „Verein zur Unterstützung und Erziehung armer und verwaister Kinder“.
In der Claas-Tholen-Straße wurde ein Waisenhaus errichtet. Rabbiner Löb übergab das Waisenhaus dem Schutz und der Fürsorge der städtischen Behörde, die mit einer starken Abordnung erschienen war. Oberbürgermeister Fürbringer, angetan mit seiner Amtskette, lobte die Verschönerung des Stadtbildes durch das stilvolle Gebäude und erklärte, die Gemeinde sei ein „leuchtendes Beispiel der Nächstenliebe“.




Jüdischer Friedhof an der Bollwerkstraße, Foto: Gero Conring


Ein jüdischer Friedhof wird erstmals 1586 vor den Toren der Stadt in Tholenswehr erwähnt. Dieser Friedhof wurde von den kleinen ostfriesischen Gemeinden, etwa Weener, Bunde, Jemgum und Stapelmoor mitgenutzt. 1703 kaufte die Gemeinde ein Gelände an Schoonhovenstraße, dem ehemaligen Sandpfad und der heutigen Bollwerkstraße. Dieser Friedhof diente der Gemeinde bis zu ihrem Ende als Begräbnisplatz.




Erweiterungsbau/Bauplan 1909, Stadtarchiv Emden (Vergrößerung anschauen!)


In diesem Teil des Vortrages haben wir uns überwiegend bezogen auf Informationen, die wir in dem Werk von Gesine Janssen über „Die Israelitische Gemeinde zu Emden von den Anfängen bis zum Holocaust“ gefunden haben.

In dem zweiten Teil des Vortrages haben wir uns besonders auf eine Schrift der GEW aus dem Jahre 1989 gestützt, an der unter anderen Marianne und Reinhard Claudi, Jacob Leufgen, Siegfried Sommer und Marie Werth beteiligt waren. Außerdem haben wir das Werk „ Die wir verloren haben“ von Marianne und Reinhard Claudi zu Rate gezogen.

B. Die Zerstörung der Synagoge

Am 3. November erfuhr der in Paris lebende siebzehnjährige polnische Jude Herschel Grynszpan, dass auch seine ganze Familie nach Polen vertrieben worden war. Er besorgte sich einen Revolver und schoss damit am 7. November 1938 in der Deutschen Botschaft auf den der NSDAP angehörenden Legationssekretär Ernst Eduard vom Rath. Dieser starb am 9. November an seinen Verletzungen.

1938 nutzte die NS-Führung das Attentat als willkommenen Anlass, um der unzufriedenen Parteibasis Gelegenheit zum Handeln gegen jüdisches Eigentum zu geben und die Juden beschleunigt dann auch gesetzlich aus dem deutschen Wirtschaftsleben auszuschalten.




Erweiterungsbau/Nordansicht 1909, Stadtarchiv Emden


Die Nachricht vom Attentat auf den zuvor weitgehend unbekannten Diplomaten vom Rath erreichte die deutsche Öffentlichkeit erst am 8. November 1938 durch die Tagespresse. Bereits am Spätnachmittag des 7. November begannen jedoch in Hessen und Magdeburg die ersten Übergriffe gegen Juden, ihre Wohnungen, Geschäfte, Gemeindehäuser und Synagogen. Die Täter waren Angehörige von SA und SS. Sie traten in Zivilkleidung auf, um wie normale Bürger zu wirken und die übrige Bevölkerung zum „Volkszorn“ wegen des Attentats in Paris aufzuhetzen. 
Die in der Presse prominent platzierten Stellungnahmen zu dem Attentat auf den Legationssekretär Ernst Eduard vom Rath lässt darauf schließen, dass höchste Parteistellen entschlossen waren, die Juden völlig aus dem deutschen Wirtschaftsleben zu verdrängen.




Vorderansicht, Foto Stadtarchiv Emden


Goebbels machte nach einem Treffen mit Hitler gegen 22.00 Uhr vor den versammelten Partei- und SA-Führern die Nachricht vom Tode des Legationssekretärs bekannt. Er benutzte den Tod zu einer antisemitischen Auslegung des Attentats, in der er „die Jüdische Weltverschwörung“ für den Tod vom Raths verantwortlich machte. Er lobte die angeblich „spontanen“ judenfeindlichen Aktionen im ganzen Reich, bei denen auch Synagogen in Brand gesetzt worden seien. Er äußerte, dass die Partei nicht als Organisator antijüdischer Aktionen in Erscheinung treten wolle, aber diese dort, wo sie entstünden, auch nicht behindern werde.

Die anwesenden Gauleiter und SA-Führer verstanden dies als unmissverständliche Aufforderung zum organisierten Handeln gegen jüdische Häuser, Läden und Synagogen. Nach Goebbels' Rede telefonierten sie gegen 22:30 Uhr mit ihren örtlichen Dienststellen. Danach versammelten sie sich im Hotel „Rheinischer Hof“, um von dort aus weitere Anweisungen für Aktionen durchzugeben. Goebbels selbst ließ nach Abschluss der Gedenkfeier nachts Telegramme von seinem Ministerium aus an untergeordnete Behörden, Gauleiter und Gestapostellen im Reich aussenden. Diese wiederum gaben entsprechende Befehle an die Mannschaften weiter, in denen es hieß (SA-Stelle „Nordsee“):





Am Sandpfad 1925, Archiv Dietrich Janßen


„Sämtliche jüdische Geschäfte sind sofort von SA-Männern in Uniform zu zerstören. Nach der Zerstörung hat eine SA-Wache aufzuziehen, die dafür zu sorgen hat, dass keinerlei Wertgegenstände entwendet werden können. […] Die Presse ist heranzuziehen. Jüdische Synagogen sind sofort in Brand zu stecken, jüdische Symbole sind sicherzustellen. Die Feuerwehr darf nicht eingreifen. Es sind nur Wohnhäuser arischer Deutscher zu schützen, allerdings müssen die Juden raus, da Arier in den nächsten Tagen dort einziehen werden. […] Der Führer wünscht, dass die Polizei nicht eingreift. Sämtliche Juden sind zu entwaffnen. Bei Widerstand sofort über den Haufen schießen. An den zerstörten jüdischen Geschäften, Synagogen usw. sind Schilder anzubringen, mit etwa folgendem Text: ‚Rache für Mord an vom Rath. Tod dem internationalen Judentum. Keine Verständigung mit Völkern, die judenhörig sind.‘ Dies kann auch erweitert werden auf die Freimaurerei.“
Der Chef der Gestapo-Abteilung für Regimegegner, Heinrich Müller, sandte um 23:55 Uhr ein Blitzfernschreiben an alle Leitstellen der Staatspolizei im Reich: Die Sicherheitsdienste sollten sich heraushalten. Sie sollten aber für den „Schutz“ des jüdischen Eigentums vor Plünderung sorgen. 
   Der 26jährige Emder Kreisleiter Bernhard Horstmann erhielt um 23.00 Uhr telefonisch von der Gauleitung in Oldenburg die Mitteilung, dass in ganz Deutschland Vergeltungsmaßnahmen gegen die Juden durchgeführt werden und um 1.00 Uhr nachts sämtliche Synagogen in Deutschland abzubrennen seien. In zwei getrennten Aktionen sollten die „Vergeltungsmaßnahmen“ vorgenommen werden: 1. Die Brandlegung der Synagoge, welche Horstmann selbst durchführte und 2. Das „Aufholen“ der Juden als ausschließliche Aufgabe der SA.




Brennende Synagoge, Foto: Stadtarchiv Emden


Ungefähr 300 Mann beteiligten sich in Emden an dieser Aktion. Horstmann, der von der Nachricht überrascht war, beriet sich im Parteihaus am Neuen Markt mit seinem Stellvertreter, dem Kreisamtsleiter Jan Eve Neeland und mit Ortsgruppenleiter Christians. Dieses Gespräch gab ihm genügend Rückhalt für die Durchführung des Befehls. Er übertrug um 23.30 Uhr Neeland die Vorbereitungsarbeiten zur Brandlegung der Synagoge. Horstmann beauftragte seine Leute, eine naheliegende Großgarage räumen zu lassen, informierte die Feuerwehr und ordnete an, nur umliegende „arische“ Häuser zu schützen. Die Partei dürfe nicht in Erscheinung treten, das heißt beteiligte Parteimitglieder sollten keine Uniform tragen. Gegen vier Uhr erteilte Horstmann seinem Stellvertreter und SS-Sturmführer Schreiber den Befehl, die Synagoge anzuzünden. Es kam zwar zu einer Explosion, aber nicht zu dem geplanten Brand. Erst nachdem mit dem Tankstellenbesitzer Oltmanns von dessen Tankstelle 20 Liter Benzin besorgt worden waren, Strohballen damit übergossen und in das Gotteshaus geworfen wurden, erfolgten weitere Explosionen und ein Feuersturm, so dass die Synagoge bis auf die Umfassungsmauern niederbrannte. 

Am Synagogenzaun brachten die Brandstifter ein Schild mit folgendem Text an: „Rache für vom Rath“. Eine große Menschenmenge hatte sich versammelt, um dem „Ereignis“ zuzusehen. „Die Pforte des Himmels“, wie Rabbiner Löb es 1910 bei der Einweihung des Erweiterungsbaues formuliert hatte, war vernichtet. Wer die heiligen Thorarollen raubte oder ob sie auf dem Zaun aufgespießt wurden und verbrannten, ist nicht mehr nachzuweisen. Joseph Wolff berichtete, dass er und Walter van der Walde zur Synagoge gingen und in den Trümmern Reste der Thorarollen fanden, die sie, wie das jüdische Gesetz es vorschreibt, auf dem Friedhof bestatteten. Beamte der Kriminalpolizei zwangen Uhrmacher Nathan Gans und Synagogenvorsteher Max van der Walde am nächsten Morgen, die silbernen Kultgegenstände herauszugeben. Man brachte sie zu diesem Zweck in die abgebrannte Synagoge, denn die Kultgegenstände befanden sich in einem feuersicheren Silberschrank. Geraubt wurden unter anderem der wunderbare Thoraaufsatz und die prachtvollen Vorhänge der Heiligen Lade. Nach Zeugenaussagen wurden die Kultgegenstände  in der Kämmereikasse der Stadt Emden deponiert und später von der Gauleitung abgeholt.

Gegen sechs Uhr morgens ging in Emden ein Fernschreiben vom Reichssicherheitshauptamt ein mit der Anordnung, alle Aktionen einzustellen und Frauen, Kinder sowie über 65jährige nach Hause zu schicken. In diesem Vortrag sind wir nicht eingegangen auf das unsägliche Leid, welches SA-Trupps in derselben Nacht in Emden angerichtet haben. Die Schaufenster jüdischer Geschäfte wurden zertrümmert, Emder Juden wurden teilweise noch in Schlafanzügen zur Neutorschule getrieben. Verletzte wie Louis Philipson und Louis Pels durften erst am Morgen vom jüdischen Arzt Dr. Kretschmer versorgt werden. Am schlimmsten erging es dem Schlachter Daniel de Beer, der bei der Polizeiwache am Rathaus von einem SA-Mann angeschossen wurde. Am 23.11. starb er an den Folgen des Lungendurchschusses im Emder Krankenhaus. Doch die Schikanen hatten noch kein Ende. Am 11. November wurden 63 jüdische Männer unter Bewachung zum Bahnhof geführt. Die Wachmannschaften trieben sie unter Johlen und Pfeifen an der zerstörten Synagoge vorbei. Das Ziel war das Konzentrationslager Sachsenhausen.

In der Pogromnacht wurden in Emden an Sachwerten 300.000 Reichsmark und an Bargeld 82.000 Reichsmark „sichergestellt“. Die Gestapo musste feststellen, dass es während der „Aufholung“ zu Plünderungen und Diebstählen zur persönlichen Bereicherung in nicht unerheblichem Umfang gekommen war. Nur ein Teil der Sachwerte und des Bargelds wurde nach Abzug der Kosten für die „Protestaktion“ zurückgegeben. In Emden wurden Kosten für Benzin (Synagogenbrand), Telefon und Autofahrten abgezogen.




Luftbild 1953, rechts Bollwerkstraße, oben links Baracke
auf dem Gelände der ehemaligen Synagoge, Archiv: Dietrich Janßen


Der Wiederaufbau der Synagoge war verboten. Am 10.12.1938 forderte die Stadt Emden die jüdische Gemeinde unter Androhung von Zwangsmaßnahmen dazu auf, sofort mit den Abbrucharbeiten der Ruine zu beginnen, die Brandstätte aufzuräumen und die Trümmer abzufahren. Die jüdischen Männer waren im KZ Sachsenhausen, Frauen, Kinder und die Alten nicht in der Lage, die geforderten Arbeiten zu erledigen. So begannen die nach und nach zurückkehrenden Männer im März 1939 mit dem Abbruch der Grundmauern ihres Gotteshauses. Abraham Kriss verunglückte dabei tödlich. Im Mai 1939 kaufte die Stadt das Grundstück für 6000 Reichsmark. Nach Abzug von Steuerrückständen musste der Rest auf ein Sperrkonto eingezahlt werden. 




Familie Nussbaum, Foto: Reinhard und Marianne Claudi


Und zum Abschluss  lassen wir einige Zeitzeugen zu Wort kommen:

Gustl Moses Nussbaum (Jahrgang 1923)

Gustl Nussbaum hat den Krieg überlebt und ist mit ihrer Schwester Sophie, die den Namen  Shulamit Jaari annahm, nach Israel emigriert. Gustel Nussbaum-Moses wurde im September 90 Jahre alt und ist eine der letzten noch lebenden ehemaligen Emder Juden. Sie erzählt die Erlebnisse ihrer Schwester Sophie während der Pogromnacht:

„Am Abend des 9. November 1938 hat mein Vater gesagt: "Lass uns nicht im Wohnzimmer sitzen. Wir gehen in die Küche. Ich habe ein schlechtes Gefühl, es kann heute Abend etwas passieren." Wir wussten, dass für die Nazis der 9. November ein Gedenktag war für diesen Hitlerputsch von 1923. Wir sind spät abends ins Bett gegangen. Plötzlich in der Nacht wurde gegen die Tür geschlagen und geschrien: "Aufmachen, aufmachen. Juden, dreckige Juden, macht auf!" Als wir aufstanden, sahen wir, dass die Synagoge in Flammen stand. Die Kerle schrien: "Alle anziehen, wir bringen euch nach Palästina!"
Wir durften keine Wertsachen mitnehmen. Meine Mutter hatte eine kleine Kommode, eine Kredenz, wie man das nannte, und da hatte sie Schmuck drin. Sie wollte ein paar Sachen mitnehmen, aber dann hat einer meiner Mutter mit dem Gewehrkolben auf die Hand geschlagen. "Sie lassen alles hier!"
Wir wurden dann zur Neutorschule gebracht. Aus allen Straßen wurden Juden herangeschleppt mit weinenden Kindern, mit Babys auf den Armen. Gegenüber wohnte der Zahnarzt Voget. Bei ihm hat Licht gebrannt, und er hat das alles mitangesehen. Später hat er allen Juden die Zähne gemacht. Er nahm kein Geld dafür.
Wir haben in dieser Nacht auf dem Schulhof der Neutorschule gestanden. Als es dann heller wurde, hat man uns in die Turnhalle gebracht. Und dann, nach und nach, das ging nach Listen, ganz langsam, hat man Frauen und Kinder bis zu fünfzehn, sechzehn Jahren nach Hause geschickt. Die Männer hat man dabehalten…“




Gasthauskirche, Juli 1938, Foto: Stadtarchiv Emden


Bernhard Brahms (Jahrgang 1929)

Bernhard Brahms wurde 1929 in der Zeppelinstraße in Emden/Wolthusen geboren. Die Hinrichtung von fünf ukrainischen Zwangsarbeitern, die er 15jährig miterlebte, hat ihn tief erschüttert. 

„Als die Synagoge 1938 brannte, war ich neun Jahre alt. Als wir morgens aufstanden, sagte meine Mutter: da brennt  schon wieder eine Kirche. Im Juli 1938 war die alte Gasthauskirche beim Rathaus abgebrannt, wahrscheinlich aus Unachtsamkeit bei Bauarbeiten. Man hatte keine Ahnung, warum die Synagoge brannte. Vormittags am 10.11.1938 bin ich mit Freunden dorthin gelaufen, die Synagoge brannte noch. Dass die Synagoge in Brand gesteckt wurde, hat man uns nicht erzählt. Das konnte man sich auch kaum vorstellen. Morgens schmissen Jugendliche, die im übermütigen Alter waren, Steine in die Scheiben der Häuser der Juden. Die Polizei hat daneben gestanden und hat nichts getan. Die hätten doch eigentlich sagen müssen: „Hört auf! Das darf man nicht!“ Für mich war das Verhalten der Polizei damals absolut unverständlich.“




Neutorschule, Foto: Archiv Dietrich Janßen


Foline Ahlrichs (Jahrgang  1929) 

Während der Reichskristallnacht wohnte ihre Familie in der Boltentorstraße, in der seinerzeit viele Juden lebten. Die Reichskristallnacht  ist ihr intensiv in Erinnerung, zumal sie an ihrem Geburtstag in der Neutorschule die grausame Behandlung der jüdischen Mitbürger miterlebt hat.

„Am 10.11.1938 hatte ich Geburtstag. Wir waren nur mit drei Mädchen in unsere Schule, die Neutorschule,  gekommen. Wir waren alleine in der Schule und haben aus dem Fenster geguckt.  Grausam, wenn ich an diesen Geburtstag denke. Die ganze Nacht vom 9.11. auf den 10.11. wurden die Juden in der Boltentorstraße gequält. Sie kamen so aus den warmen Betten und mussten teilweise ohne Schuhe zur Neutorschule laufen. Ich habe sie noch vor Augen. Im Boltentorsgang bei der Wäscherei Frauenlob gab es ein Haus mit lila-blauen Fliesen im Flur. Da stand ein kleiner vierjähriger Junge im Marineanzug, mit Nachnamen hieß er Valk, der wurde auch zu unserer Turnhalle  in der Neutorschule getrieben. Der hatte einen Teddy im Arm – ich sehe ihn da noch stehen. All die alten Nachbarn, die durften keinen Mantel anziehen und nichts. Und es war kalt an dem Tag.“




Judenstraße, heute Max-Windmüller-Straße, Foto: Stadtarchiv Emden


Jan Meyer (Jahrgang 1928)

Jan Meyer wurde 1928 in Emden geboren und besuchte ab 1934 die Volksschule in der Neutorstraße. Der Vater Theodor war den Nazis gegenüber sehr kritisch eingestellt. Im Rahmen seiner Möglichkeiten hat er sich für Kommunisten und jüdische Nachbarn eingesetzt. 

„Meine Mutter Elise Meyer, geborene Riemer (1895 – 2001), hat als Kind in der Judenstraße gewohnt, umgeben von vielen jüdischen Nachbarn. Sie ist mit Juden aufgewachsen. Sie hat am Sabbat Handlangerdienste geleistet, die gläubigen Juden verwehrt waren: Licht anmachen und den Ofen anzünden. Dafür bekam sie einen Lakritzbonbon. Sie war als Kind oft bei Hochzeiten in der Synagoge dabei. Davon hat sie immer geschwärmt, von der schönen Inneneinrichtung und den Zeremonien. 
Ich  musste am 10.11.1938 morgens mit dem Rad von der Großen Straße durch die Lilienstraße über den Markt, vorbei an Achterum zum Zentralhotel und habe das Feuer der brennenden Synagoge gesehen. Die Fenster bei unseren jüdischen Nachbarn waren in der Nacht zerschmissen worden. Zwei Häuser weiter wohnte die Familie Gans, Antiquitäten- und Uhrenhandlung. Mit den beiden Jungs war ich befreundet und wir spielten zusammen. Simon Gans hatte mein Alter, er ist später ermordet worden, wie man auf der Stele auf dem Judenfriedhof lesen kann.“




Central Hotel, Foto: Stadtarchiv Emden


Hans Reinhard Peters (Jahrgang 1920) 

Hans Peters wohnte mit seinen Eltern „An der Schlichte“ in unmittelbarer Nähe der Synagoge und dem jüdischen Friedhof und wuchs umgeben von jüdischen Familien auf. Die Malerfirma seines Vaters hat die Malerarbeiten in der Synagoge nach der Erweiterung im Jahre 1909 durchgeführt. 

„In Erinnerung habe ich, dass am Samstag die Juden mit Kind und Kegel bei uns vorbei zur Synagoge gingen. Sie waren gut gekleidet und trugen bei besonderen Anlässen einen Zylinder. Aber davon haben wir Kinder keine Notiz genommen. Das gehörte zum Stadtbild. Und dann kam der 9. November 1938. Zu der Zeit war ich schon achtzehn Monate Geselle im elterlichen Betrieb. Mein Vater hatte den Auftrag, das Haus von Kappelhoff gegenüber dem Zentralhotel zu streichen. Mein Vater kam in der Nacht und holte mich aus dem Bett und sagte: „Die Synagoge wird gleich brennen.“ Meine Schwester, die gleich neben der Synagoge wohnte, hatte bei unserem Vater angerufen, weil sie Angst hatte: „ Ihr müsst kommen und mir helfen“. Ich nehme mit Sicherheit an, dass man die unmittelbare Nachbarschaft auf die Pläne der Brandlegung aufmerksam gemacht hat. Meine Schwester wohnte über den Centralgaragen von Schoy. Man hatte wohl Angst, dass durch Funkenflug etwas passieren konnte. Als mein Vater und ich ankamen, brannte die Synagoge. Das war von SA-Leuten organisiert worden. Jeder wusste, dass der Brand den Juden galt. Mir war klar, dass die Synagoge angezündet worden war, zumal auch die Feuerwehr untätig war. Aber wer stellte schon die Frage: Warum maken ji dat?

In den frühen Morgenstunden stand ich mit drei oder vier Gesellen auf der Anlegeleiter am Central-Hotel und habe gesehen, wie die Juden auf der Neutorstraße zu Neutorschule (Heute VHS-Gebäude) liefen. Normalerweise hätten wir ja was machen müssen. Man merkte doch, da geschieht Menschen Unrecht. Das darf doch nicht sein, dass die die Menschen schlagen. Was haben wir gemacht? Nichts! Wir haben es gesehen. Wir haben auch gesehen, dass in jüdischen Geschäften die Scheiben eingeschlagen und die Sachen auf die Straße geworfen wurden. Ja, und nun kommt das, was mich gewundert hat. Auch mein Vater hat nicht mit mir darüber gesprochen, man bekam keine Begründung. Es war ruckartig kein Thema mehr. Die Synagoge war abgebrannt, die Geschäfte geplündert und über die Juden wurde nicht gesprochen.“